Gastbeitrag von Lydia Reismann (Netzwerk Nachhaltigkeit)
Dass Klimaschutz irgendwie relevant ist, haben die meisten schon verstanden. Wie die großen Schritte der Transformation tatsächlich umgesetzt werden sollen, ist vielen aber noch unklar. Auf die Frage, in welchen Bereichen die große Transformation stattfinden muss, lässt sich antworten: Auf allen gesellschaftlichen Ebenen und in jedem Feld und Fachbereich sind entsprechende kleinere oder größere Anpassungen nötig.
Wir gehen mit der Veganuary-Aktionswoche 2023 in der Mensa einen ersten Schritt, dem Weitere folgen werden. Denn selbst mit innovativster Technik und einem komplett klimaneutralen Mobilitätssektor (ja, inklusive Autos und Flugzeugen), kann Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen, wenn nicht gleichzeitig die sogenannte Ernährungswende in Angriff genommen wird.
Was sind die Fakten zu diesem Thema?
Es besteht ein wissenschaftlicher Konsens hinsichtlich der zentralen Rolle der Ernährung für Emissionssenkungen. Die Ernährungswende beschreibt in seiner Umsetzung in weiten Teilen einen geringeren Verzehr von Tierprodukten. Denn die Nahrungsmittelproduktion verursacht weltweit ein Viertel der Treibhausgasemissionen, 70% des Wasserverbrauchs und 80% der Abholzungen1; andere Studien gehen sogar von noch höheren klimaschädlichen Treibhausgas-Emissionen aus. Laut Umweltbundesamt ist allein die Tierindustrie für 39,7% der Emissionen verantwortlich.2 Die derzeitige Form der konventionellen Landwirtschaft und insbesondere die Tierhaltung gilt außerdem als die Hauptursache für Lebensraumverlust und Artensterben.3
Ein wichtiger, die Landwirtschaft betreffender Aspekt ist, dass durch den Klimawandel wiederum Wechselwirkungen und teure Schäden für die Landwirtschaft selbst entstehen, wie die Grafik der FAO (Die Organisation für Ernährung der WHO) hier zeigt. Klimaemissionen sind also niemals eine Einbahnstraße, sondern kommen umso teurer auf unsere Wirtschaft, Gesellschaft und Ernährung zurück.
(Grafik 1: Food and Agriculture Organization of the United Nations, S.4.)
Müssen Emissionen nicht erstmal gemessen werden bevor sie reduziert werden können?
Für große Unternehmen und Betriebe gilt derzeit schon eine Pflicht, Emissionsmengen anzugeben (zu bilanzieren). Doch auch für Hochschulen und insbesondere Mensabetriebe macht es Sinn, zuerst herauszufinden, welche Bereiche die meisten Emissionen ausstoßen, um dort die effektivste Veränderung durchzuführen.
Welche Lebensmittel haben hohe Emissionen?
Aus vielen Berechnungen können Durchschnittswerte für Lebensmittel gebildet werden. Diese werden meist in den Einheiten CO2 pro Kilogramm oder pro Kalorie/Energiemenge angegeben. In der Grafik sind beispielhaft einige Lebensmittel aufgeführt. Dabei zeigt sich, dass tierische Produkte deutlich größere Emissionsmengen verursachen als pflanzliche Lebensmittel, was unter anderem durch die hohen Futtermengen erklärbar ist.
(Grafik 2: Our World in Data: Greenhouse Gas Emissions per 1000 kalories.)
Muss ich das alles selbst wissen?
Nein, natürlich nicht! Individuen verantwortlich zu machen, sich mit einer solchen Komplexität und Informationsflut auseinanderzusetzen, ist aufwendig und ineffizient. Es gibt einfacherer Wege: Wenn in der Mensa neben dem Preis auch die CO2-Kosten des Essens ersichtlich werden, dann können Kund*innen der Mensen durch diese Transparenz eine bewusstere Konsumentscheidung treffen. Diese Sichtbarmachung der Emissionen pro Gericht auf Mensa-Bildschirmen und dem Speiseplan ist ein wesentlicher Schritt, um Menschen zu klimafreundlichem Verhalten zu befähigen.
Und was bringt das alles?
Es hilft uns, Nachhaltigkeitskompetenzen zu entwickeln. Denn diese sind in unserer Gesellschaft erstens noch nicht weit verbreitet und zweitens nicht leicht zu erlernen. Der Soziologe, Zukunftsforscher und Professor Mike Berners-Lee beschreibt in seinem Buch "How bad are bananas", dass Menschen ein starkes ökonomisches Bewusstsein in Konsumentscheidungen besitzen und dass dies in Bezug auf ökologische Kompetenzen fehlt. So haben wir z.B. ein Gespür dafür, was ein Liter Milch normalerweise kostet und wann dieser in einem Supermarkt zu teuer angeboten wird. Außerdem wissen wir, dass eine Flasche Champagner deutlich teurer als Milch ist. Der Autor fordert aber dringend ein, dass wir einen solchen Instinkt auch für Treibhausgase entwickeln sollten, also die Fähigkeit, abzuschätzen, wie die Ökobilanz von Lebensmitteln aussieht oder wie groß der Ressourcenverbrauch von Gegenständen oder Produkten ist.
Bilanzierung konkret gemacht
Es gibt bereits eine Datenbank, die für Restaurants und Mensabetriebe nutzbar ist: die Datenbank von Eaternity3. Dabei ist das Treibhausgasäquivalent (kurz CO2eq) zu jeder Zutat vorhanden. Einmal die Rezepte dort eingegeben, wird für jedes Gericht die CO2-Bilanzierung ausgespuckt. Auf Basis dieser Datenberechnung zu jedem Gericht können nun absolute Mengenangaben, Ampelsysteme (Carbon-Footprint-Ampel) oder der Klimateller4 verwendet werden. Klimateller ist eine Auszeichnung für Gerichte mit geringen Emissionsmengen.
Mehr Informationen sind auf den Plattformen Klimateller oder Eaternity zu finden. (Anm. der Autorin: Diese Plattformen sind an der Stelle erwähnt, da sie der Autorin am populärsten erscheinen; es bestehen keine Interessenskonflikte.)
Welche gesundheitlichen Effekte bestehen?
Im Artikel "Ernährungswende – Planetary Health Diet" erfährst du mehr über die gesundheitlichen Effekte einer klimafreundlichen Ernährungsweise.
1 Vgl. Poore & Nemecek, "Reducing Food’s Environmental Impacts through Producers and Consumers."
2 Vgl. Umweltbundesamt, "Daten Landwirtschaft".
3 Vgl. Poore & Nemecek, "Reducing Food’s Environmental Impacts through Producers and Consumers."
4 Eaternity – Lebensmittelscore: https://eaternity.org/
5 Klimateller – Score für Gerichte: https://www.klimateller.de/